Praxisanleitung im Bereich Palliative-Care

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Praxisanleitung gehört in allen pflegebezogenen Berufen zum Alltag. Mit Inkrafttreten der neuen Ausbildungsgesetze in der Kranken- und Altenpflege (2003 bzw. 2004) hat die Praxisanleitung vor Ort eine neue Bedeutung erhalten. Sie ist zu einer Schlüsselposition geworden für die Förderung des Berufsnachwuchses, hat eine entscheidende Bedeutung für die Vermittlung praxisbezogenen Wissens, die Qualität der Anleitung, und für die Kommunikation ausbildungsrelevanter Aspekte im Team. Während früher die praktische Anleitung überwiegend von besonders motivierten Pflegekräften übernommen wurde, ist es nun die Aufgabe der Schule, in Kooperation mit der Praxiseinrichtung für die Anleitung von Auszubildenden durch entsprechend geschulte Praxisanleiter/-innen zu sorgen.

Auszug aus:

Die Praxisanleitung
Ausgabe 01.2019
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Das Krankenpflegegesetz

„Die Einrichtungen der praktischen Ausbildung stellen die Praxisanleitung der Schülerinnen und Schüler nach § 4 Abs. 5 Satz 2 des Krankenpflegegesetzes durch geeignete Fachkräfte sicher. […] Aufgabe der Lehrkräfte der Schulen ist es, die Schülerinnen und Schüler in den Einrichtungen zu betreuen.

Inzwischen haben mehrere gute Fachbücher das allgemeine Handlungsfeld von Praxisanleitung systematisch aufgearbeitet und sind empfehlenswert für alle Pflegenden, die sich mit Ausbildungs- und Anleitungsprozessen beschäftigen. In den genannten Fachbüchern sind u.a. gute Anregungen für Vorgespräche, Protokolle über Praxisbeobachtungen von Schüler(inne)n, Checklisten für den / die Mentor/-in über anstehende Aufgaben sowie Empfehlungen für eine inhaltliche Schwerpunktsetzung bei Praxiseinsätzen enthalten. Auf diese wichtigen und allgemein gültigen Empfehlungen wird der folgende Beitrag bewusst nicht näher eingehen, dazu sei auf die genannten Bücher verwiesen.

In der Pflegepraxis ist es jetzt erforderlich, präventive, rehabilitative, kurative und palliative Elemente des pflegerischen Handelns ausbildungsbezogen zu bestimmen und diese bei Anleitungssituationen als Lernaufgaben gezielt zu berücksichtigen. Diese grundsätzlich für alle Praxisfelder geltenden Prinzipien bedürfen in der Arbeit mit sterbenden Menschen einer situationsadäquaten Spezifizierung. Im Rahmen dieses Beitrags wird es daher in erster Linie um folgende spezielle Elemente der Praxisanleitung in der Palliativpflege gehen:

  • Welche besondere Rolle hat Praxisanleitung in der Palliativpflege?
  • Wie können Pflegende ohne Praxisanleiterfortbildung Ausbildungs- und Anleitungssituationen gestalten?
  • Wie sieht eine konkrete Vorbereitung auf neue Schüler/-innen / Praktikant(inn)en aus?
  • In welcher Weise sollen neue Ehrenamtliche angeleitet werden?

Rolle der Praxisanleitung und ihre Besonderheiten in Palliative Care

Grundlagen

Praxisanleiter/-innen haben Vorbildcharakter in ihrer Haltung zu

  • alltäglicher Pflegearbeit,
  • Anleitungsprozessen und ihrer Gestaltung,
  • den Vorgaben und dem Leitbild des Trägers,
  • Kooperation mit unterschiedlichen Berufsgruppen.

Sie arbeiten mit Schüler(inne)n, Student(inn)en, Praktikant(inn)en und Ehrenamtlichen zusammen, haben somit eine herausragende Position für die Außenwirkung der Station bzw. der Einrichtung. Die Zusammenarbeit mit den o.g. Personen besteht mit Ausnahme der Ehrenamtlichen nur für eine begrenzte Zeit. Während des Praxiseinsatzes sollen die Ziele und Inhalte des jeweiligen Ausbildungsabschnittes bzw. Lernfeldes bezogen auf den individuellen Lernstand praktisch vermittelt und eingeübt werden. Einerseits ist dies eine alltägliche Aufgabe, andererseits sind dabei im Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden einige Besonderheiten zu bedenken.

Wenn Theorie und Praxis „knallhart aufeinander treffen“

Eine erste zentrale Besonderheit ist in der Abwägung von Möglichkeiten und Grenzen einer Pflegesituation in der Palliativpflege zu sehen. Der Ausführung vollständiger Tätigkeiten wie im Ausbildungsplan vorgesehen steht u. U. eine reale Situation mit stark begrenzter Kraft der Patienten oder auch sich ablehnend äußernden Angehörigen gegenüber. Wie sieht in solchen Fällen patienten- und schülerorientierte Pflegearbeit aus? Zur Veranschaulichung dieses Spannungsfeldes dazu eine Fallsituation aus der Praxis:

Fallbeschreibung

Frau Ehlers arbeitet als Krankenschwester auf einer internen Station. Sie stellt den Fall eines 86-jährigen Patienten vor, der zum zweiten Mal auf der Station ist. Schon beim ersten Aufenthalt hat er wiederholt „keine Lust auf das Krankenhaus“ geäußert, „will nichts damit zu tun haben“. Er ist verwitwet, der Sohn lebt im gleichen Haus. Der Patient war früher Landwirt. Seine Diagnosen lauten Prostata-Ca., Nieren-Insuffizienz, KHK, aktuell leidet er unter einer akuten Pneumonie, ein apoplektischer Insult mit Aphasie kam hinzu. Die Angehörigen sind offenbar mit der akuten Entwicklung überfordert und haben den Hausarzt eingeschaltet, der den Patienten einweist. Mit ihnen ist besprochen, dass er zu Hause sterben kann.

Die Nierenwerte verschlechtern sich akut, Infusionen und Antibiotika werden angeordnet. Der gesamte Zustand wird kritischer, der Patient kann nicht mehr sprechen, nur noch „Nein“ mitteilen durch Kopfschütteln. Er nimmt keine Nahrung mehr zu sich, die Pflegenden bemühen sich, ihm beim Essen zu helfen, allerdings mit wenig Erfolg. Ein peripherer venöser Zugang wird gelegt.

Auf der Station wird in den nächsten Tagen die Pflege übernommen von Auszubildenden im 3. Jahr. Der Patient wird „optisch perfekt gepflegt“, so Frau Ehlers, aber sie hat kein gutes Gefühl dabei. Die Auszubildenden hätten Mühe gehabt, den Verschlechterungsprozess zu akzeptieren, und es hätten mehrere Gespräche stattgefunden über das Pro und Contra von Antibiotikatherapie und Magensonde. Sie sieht den Theorie-Praxis-Transfer im Hinblick auf humanes Sterben und pflegeintensive Maßnahmen in der letzten Lebensphase hier infrage gestellt.

Der Zustand des Patienten verschlechtert sich weiter, akute Durchfälle kommen hinzu, die medikamentös nicht beeinflusst werden können. Es werden unterschiedliche Therapien angesetzt, ohne Erfolg. Die Pflegenden sind uneinig, die Schüler verunsichert und die Ärzte versuchen täglich etwas Neues, um den Patienten zu retten. Wegen der akuten Durchfälle kann der Patient nicht nach Hause entlassen werden, er stirbt im Krankenhaus.

Die zentrale Frage von Frau Ehlers lautet: Wie können Zusammenarbeit und Entscheidungen zugunsten eines humanen Sterbeprozesses besser abgestimmt werden?

Fallbearbeitung

Ein Einsatz von Schüler(inne)n in solchen Pflegesituationen ist grundsätzlich zu begrüßen, da sie dadurch lernen, mit komplexen Situationen verantwortlich umgehen. Das Fallbeispiel unterstreicht jedoch deutlich, die Notwendigkeit gezielter Gespräche über das nahende Lebensende beim Patienten. Voraussetzung ist allerdings, dass zu Beginn des Einsatzes die Kompetenzen der Schüler/-innen für die Pflege präfinaler Patienten geklärt sind und eine gute Praxisanleitung gesichert ist. In diesem Fall wird aber auch deutlich, dass Praxis und Palliative Care „knallhart aufeinander treffen“ und dass alle Beteiligten überfordert sind. Es ist eine „zweifelhafte Berufsehre“, wenn die Pflegemaßnahmen technisch geradezu perfektionistisch ausgeführt werden, der Wille des Patienten jedoch nicht ernst genommen wird.

Die medizinischen Anordnungen (Antibiotika in diesem Krankheitsstadium mit der Folge der Durchfälle) geben Anlass zur Kritik. Wie viel oder genauer gesagt wie wenig Pflege ist angemessen in dieser Situation? Und ist die Übernahme der Pflege durch Schüler/-innen in solchen Fällen angemessen? Hier gibt es unterschiedlich Positionen: So hat auch ein sterbender Patient Anrecht auf umfassende, vollständige Pflegemaßnahmennach dem Stand der theoretischen Ausbildung, da hiermit Respekt gegenüber dem Leben ausgedrückt wird. Eine andere Position könnte aber sein, dass diese Arbeitshaltung eine Verweigerung der Pflegenden darstellt, offene Auseinandersetzungen zu führen, sowohl mit den Angehörigen als auch im Team und mit den Ärzten.

Kommentar zur Fallbearbeitung in der Sitzung

Die Diskussion berührt für die Pflege zentrale Fragen. Zunächst geht es um einen Orientierungsrahmen bzw. ein Leitbild für die Pflege im Umgang mit sterbenden Patienten. Allen Pflegenden sind akute Verschlechterungsprozesse mit wiederholten Richtungswechseln der Therapie geläufig. Die Pflegenden sehen sich in einer abhängigen Position gegenüber den ärztlichen Anordnungen. Ihre Meinungen und Erfahrungen sind kaum gefragt, außer von jungen Assistenzärzten und von Schüler(inne)n. Gleichzeitig sind sie i.d.R. erste Kontaktperson für Angehörige, bemühen sich um ein positives und einheitliches Bild nach außen. Keine der Pflegenden kann sich vorstellen, ärztliche Anordnungen im Gespräch mit den Angehörigen zu kritisieren, auch wenn sie durchaus kritikwürdig sind. Gute Zusammenarbeit heißt, sich solidarisch zu verhalten, Entscheidungen zunächst im Team abzustimmen und mit anderen Berufsgruppen gemeinsam zu vertreten. Das anwaltschaftliche Handeln für den Patienten gerät dabei in den Hintergrund.

Dies lässt Rückschlüsse zu auf fachliche und persönliche Kompetenzen, die in der Arbeit mit Schüler(inne)n eine wichtige Rolle spielen.

Anforderungen auf fachlicher und persönlicher Ebene

Eine zweite zentrale Besonderheit ist das einfühlende Verstehen in die besondere Situation von Schüler(inne)n angesichts der damit verbundenen doppelten Anforderung auf der fachlichen und auf der persönlichen Ebene. Die fachlichen Anforderungen im Umgang mit schwerer Krankheit und mit sterbenden Menschen sind für alle jungen Menschen eine große Herausforderung. Lernprozesse und Lernsituationen angesichts des nahenden Lebensendes eines Menschen bedürfen zum einen einer sensiblen Einstimmung durch die Praxisanleiterin, zum anderen aber auch einer guten Lernbereitschaft durch die Neulinge.

Vorgespräch

Zur Klärung des individuellen Lernstandes folgen einige Anregungen für das Vorgespräch der Praxisanleiterin mit der neuen Schülerin / Praktikantin:

  • Ist dies Ihr erster Praxiseinsatz / Praxiskontakt mit einer Station für Palliativpflege / Onkologie?
  • Welche Vorkenntnisse haben Sie in der Schule erworben für die Arbeit mit schwerstkranken Menschen?
  • In welchen Fachgebieten bzw. Lernfeldern haben Sie dazu etwas gelernt?
  • Haben Sie schon einmal einen Sterbenden begleitet bis zu seinem Tod?
  • Waren Sie in die pflegepraktischen Handlungen bei der Versorgung eines Verstorbenen einbezogen, was konnten Sie dabei tun?
  • Wie ging es Ihnen dabei, hat jemand mit Ihnen ein Vor- und Nachgespräch geführt?

Freies Ausprobieren

Zu allen Lernprozessen gehören Situationen des Ausprobierens mit der Folge von mehr oder weniger erfolgreichen Lernergebnissen. In der Palliativpflege ist die Praxisanleiterin besonders gefordert, dieses freiere Ausprobieren in engen, risikoarmen Grenzen zu halten und gleichzeitig ein zunehmend selbstständigeres Arbeiten der Schülerin zu ermöglichen. Die Folgen fachlicher Fehler können sich bei Schwerstkranken möglicherweise in Form einer Verkürzung der Lebenszeit mit z.T. weitreichenden Folgen für die Lebensqualität auswirken, führen oftmals zu spannungsvollen Auseinandersetzungen mit den Angehörigen. All dies ist von der Praxisanleiterin zu bedenken, bevor sie Pflegetätigkeiten an eine Schülerin delegiert. Als hilfreicher Hinweis sei hier auf einen im Laufe eines Einsatzes steigenden Grad an Verantwortungsübernahme durch die Schülerin hingewiesen. Konkret kann das so aussehen, dass die Schülerin anfangs leichtere Tätigkeiten wie z.B. Teile der Körperpflege übernimmt und diese schonend ausführt. Wenn sich die Praxisanleiterin überzeugen konnte, dass die Schülerin die gelernten Prinzipien umsichtig und verantwortungsbewusst ausführt, kann die Anforderung gesteigert werden. Dann kann sie größere Anteile der Körperpflege übernehmen, nach Absprache z. B. auch die Vorbereitung der Lagerung.

Reflexion persönlicher Erfahrungen

Die zweite Ebene der Doppelanforderung betrifft die persönliche Geschichte und Erfahrungen der Schülerin im Kontakt mit Tod und Sterben. Ein fachlich adäquater praxisvorbereitender Unterricht enthält üblicherweise auch die Reflexion persönlicher Erfahrungen mit Tod und Sterben. In einem solchen Fall kann also eine Schülerin während der Ausbildung ihre Erfahrungen sammeln, ein Stück weit aufarbeiten und mit geklärter Gefühlslage auf einer onkologischen Station arbeiten. Das lässt sich jedoch nicht immer voraussetzen, wie das folgende Fallbeispiel zeigt:

Nicole befindet sich am Anfang des zweiten Ausbildungsjahres in der Altenpflege. Sie kommt für acht Wochen zum Praxiseinsatz auf die Pflegestation. Im Vorgespräch sagt sie zu Schwester Martina, der Praxisanleiterin, dass sie in der Schule die Pflege Sterbender noch nicht hatten, dieses Thema wäre in der Mitte des zweiten Jahres geplant. Sie berichtet, dass sie zu Hause das Sterben ihrer Großmutter miterleben konnte. Die Großmutter war mehrere Jahre lang pflegebedürftig und wurde von Nicoles Mutter gepflegt, Nicole war ebenfalls an der Pflege beteiligt. Nach dem Vorgespräch schien es Schwester Martina, als ob Nicole eine geklärte Einstellung zu Tod und Sterben habe.

Nicole arbeitet sich schnell ein, findet sich zunehmend sicherer zurecht und hat zu den meisten Bewohner(inne)n ein gutes Verhältnis. Sie kümmert sich besonders um Frau Brendel, die von dieser Aufmerksamkeit sehr angetan ist. Frau Brendel ist 92 Jahre alt, hat u.a. Morbus Parkinson und ist sehr geschwächt. Sie kann nur noch selten aufstehen, auch das Sitzen im Rollstuhl oder im Sessel fällt ihr schwer. Nicole verbringt viel Zeit im Zimmer von Frau Brendel, erledigt alle Pflegearbeiten umsichtig und gut, die Pflegekräfte sind sehr zufrieden mit ihr. Als Nicole nach einem verlängerten freien Wochenende zum Dienst kommt, wird Frau Brendel bei der Übergabe nicht erwähnt. Nicole fragt nach und bekommt die Antwort, dass Frau Brendel am Freitag der letzten Woche plötzlich gestorben ist. Es gab keinen akuten Notfall, sie sei friedlich im Schlaf gestorben. Nicole ist fassungslos und wird wütend: „Ihr hättet mir ja wenigstens Bescheid sagen können, das ist ja wohl das Letzte. Und ihr wollt hier gute Pflege machen!“ Dann läuft sie unter Tränen aus dem Raum. Ausgerechnet an diesem Tag ist Schwester Martina nicht im Dienst. Eine Kollegin sagt später zu Nicole: „Du darfst dir das nicht so zu Herzen nehmen, man kann nicht mit jedem Bewohner mitleiden, sonst geht man kaputt. Da musst du noch ein dickeres Fell bekommen.“

Nicole sagt in dieser Situation nichts, bringt den Dienst irgendwie hinter sich. Am nächsten Tag sagt sie zu ihrer Praxisanleiterin, dass sie die Ausbildung abbrechen möchte und lieber einen anderen Beruf lernen will, wo es keine sterbenden Bewohner und keine hartherzigen Kolleginnen gibt.

Diese Fallsituation beschreibt eine „normale“ Praxissituation in einer stationären Einrichtung, dennoch macht sie aufmerksam auf Problemfelder und wirft Fragen auf:

  • Wie erklärt sich Nicoles heftige Reaktion auf den Tod der Bewohnerin?
  • Wie steht es um ihre Eignung für einen professionellen Pflegeberuf angesichts einer solchen Reaktion?
  • Welche Bewältigungsstrategien von Belastungen setzen die Pflegekräfte selbst ein und wie werden diese Erfahrungen kommuniziert?
  • Was hätte aus Sicht der Praxisanleitung anders gemacht werden können?

Ein Teil der heftigen Reaktion kann sicher auf die fehlende Behandlung des Themas im Unterricht zurückgeführt werden. Ein weiterer Teil erklärt sich über die gute Beziehung, die Nicole zu der Bewohnerin aufgebaut hatte und die nun ohne die Möglichkeit zu einem bewussten Abschied voneinander abgebrochen ist. Eine heftige emotionale Reaktion auf den Tod einer Bewohnerin bedeutet nicht, dass Nicole für den Beruf ungeeignet ist. Die Bedeutung des einfühlsamen Verstehens und der Arbeitsgegenstand von Gefühlsarbeit im Umgang mit kranken Menschen sind wesentliche Bestandteile professioneller Pflege. Dies muss sich im Handeln und auch im sprachlichen Umgang, insbesondere gegenüber Neulingen, zeigen.

Die Äußerungen der Kollegin spiegeln ein geringes Maß an Reflektiertheit gegenüber emotionalen Reaktionen der jungen Kollegin und sind aus professioneller Sicht stark verbesserungswürdig. Die Praxisanleiterin hätte eine solche Reaktion weder bei Nicole noch bei der Kollegin verhindern können. Sie sollte jedoch die Kollegin direkt auf die kontraproduktive Wirkung ihrer Worte ansprechen. Weiterhin ist es ihre Aufgabe, bei der nächsten Teambesprechung die Problematik einzubringen und sich für eine andere Form der Mitteilung von Todesfällen an die Kolleg(inn)en und Bewohner/-innen einzusetzen. Als Anregung kann hier ein „Gedenkbereich“ im Flur dienen, wo z.B. ein Windlicht für eine Woche angezündet wird, sich ein Bild der Bewohnerin und ggf. von den Angehörigen befindet sowie die Todesanzeige aus der Tageszeitung mit Hinweis auf die Trauerfeier hängt.

Besondere Rolle von Praxisanleitung im Kontakt mit aufmerksamen Angehörigen

Die dritte zentrale Besonderheit der Praxisanleitung in der Pflege ist die hohe Aufmerksamkeit seitens der Angehörigen. Während eines Krankenhausaufenthaltes oder auch in der Kurzzeitpflege sind die Angehörigen eher im Hintergrund. Sie kommen zu Besuch, kennen vielleicht ein paar der Pflegekräfte. Sie treten aber eher selten direkt in Kontakt mit der Praxisanleitung.

In der Palliativpflege stellt sich die Situation anders dar. Hier begleiten die Angehörigen die letzte Lebensphase meist intensiv, sind regelmäßig beim Patienten und können aufgrund ihrer längeren Anwesenheitszeit die Pflegehandlungen detailliert sehen und bewusst miterleben.

Die Pflegenden arbeiten also sozusagen unter ständiger Beobachtung und sind häufig aufgefordert, die Pflegemaßnahmen und ihre aktuelle Notwendigkeit zu erklären.

Für Anleitungssituationen sollte vorher im Team geklärt werden, bei welchen Patient(inn)en, die derzeit auf der Station sind, Praxisanleitung gemeinsam vertretbar ist und vor allem, bei welchen Patient(inn)en nicht,

  • wie fachlich sicher die Schülerin / Praktikantin ist, falls es zu einer Situationsveränderung kommt, und wie voraussichtlich darauf reagiert werden kann;
  • wer welche Fragen der Angehörigen nach der Bewertung des Zustandes beantwortet.

Je mehr Zeit die Angehörigen am Krankenbett verbringen, desto größer wird ihr Einblick in institutionelle Abläufe. Sie sind damit wichtige Schlüsselpersonen, die die Außenwirkung der Einrichtung vermitteln.

Praxisanleitung durch Pflegende ohne einschlägige Fortbildung

Während die bisherigen Ausführungen überwiegend auf das Handlungsfeld der fortgebildeten Praxisanleiterin konzentriert waren, folgt nun ein Exkurs über die Aufgabengestaltung von praktischer Anleitung durch Pflegende ohne spezielle Fortbildung. Auch diese Pflegekräfte übernehmen regelmäßig Anleitungsaufgaben, betreuen Schüler/-innen, Praktikant(inn)en oder Bundesfreiwilligendienstleistende. Wie können sie Ausbildungs- und Anleitungssituationen gestalten, woran können sie sich orientieren?

Wichtig ist, sich immer wieder der Vorbildwirkung des eigenen Handelns bewusst zu sein. Das Lernen am Vorbild ist ein wesentliches Lernprinzip, es findet statt in Form von Imitation bzw. Nachahmung. Die Pflegekräfte können also am gelernten Verhaltensmuster eines Neulings im Umgang mit Patient(inn)en / Bewohner(inne)n Aspekte des eigenen Verhaltens gespiegelt sehen. Das kann bestärkend für das eigene professionelle Verständnis sein, kann aber auch irritieren, wenn man sich bestimmter Verhaltenszüge nicht bewusst ist. Empfehlenswert für die Planung von Praxiseinsätzen sind folgende Punkte:

  • In der Station finden sich 1-2 zuständige Mentorinnen für die Dauer des Praxiseinsatzes. Während der ersten zwei Wochen sollte stets eine der Mentorinnen gemeinsam mit der neuen Praktikantin im Dienst sein.
  • Die Mentorinnen besprechen vor dem Einsatz geeignete und weniger geeignete Lernsituationen für die Praktikantinnen und tauschen sich regelmäßig nach zwei Wochen darüber aus.
  • Sie orientieren sich an mitgebrachten Lernaufgaben / Lernzielen der Schule und an Empfehlungen aktueller Fachbücher. Falls keine speziellen Lernaufgaben bekannt sind oder das Praktikum ein Orientierungspraktikum vor Beginn eines Studiums ist, werden je nach Dauer des Praktikums Schwerpunkte gesetzt, z. B.: Begleitungsaufgaben für anstehende Untersuchungen, Unterstützungsaufgaben bei Bewegung, Aktivierung und Mobilisierung, Mithilfe bei der Wahrnehmung von Gewohnheiten der Bewohner/-innen in Bezug auf Schlaf, Essen, Kontaktpflege.
  • Sie führen regelmäßige „Lerngespräche“ (anfangs einmal wöchentlich, nach vier Wochen in steigenden Abständen) mit den Neulingen über das neu Gelernte, geben und ermöglichen Rückmeldung über die Eindrücke und Erfahrungen mit den Lernsituationen.
  • Nach der Hälfte der Praktikumszeit und am Ende führen sie ein Zwischen- bzw. ein Abschlussgespräch. Sie dokumentieren diese Gespräche in fachgerechter Weise.

Wenn die Einrichtung Kontakt mit Schulen wünscht bzw. ausbauen möchte, ist diese Anbahnung eine Kernaufgabe der Leitung. Im Sinne der Förderung und Unterstützung beruflichen Nachwuchses ist eine solche Kooperation sehr zu empfehlen.

Praxisanleitung in der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen

In den letzten Jahren hat sich der Einsatz Ehrenamtlicher zu einer wesentlichen Säule bei der Betreuung Sterbender entwickelt. Die Hospizbewegung erfährt sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich umfassende Unterstützung durch Ehrenamtliche. Zahlreiche Betroffene haben durch die Ehrenamtlichen Beistand erfahren, sind in Krisen und im Sterben begleitet worden. Dieses Engagement soll an dieser Stelle ausdrücklich gewürdigt werden.

Unter der Überschrift „Ehrenamtliche“ werden in diesem Beitrag Bürger/-innen zusammengefasst, die sich freiwillig und unentgeltlich bzw. gegen eine geringe Aufwandsentschädigung für Aufgaben der sozialen und pflegerischen Arbeit zur Verfügung stellen. Insbesondere im ambulanten Bereich sind Ehrenamtliche ein wichtiges Verbindungsglied zwischen Professionen und den Betroffenen.

Die folgenden Fragen stellen eine Auswahl zentraler Aspekte für Praxisanleitung in der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen in Palliative Care dar:

  • Wie viel Praxisanleitung brauchen Ehrenamtliche zu einer gelingenden Zusammenarbeit mit den professionellen Pflegekräften?
  • Welche Elemente können eine positive Wirkung auf die Zusammenarbeit entfalten?
  • Wo sind die Grenzen zwischen ehrenamtlicher und professioneller Arbeit?

Wenn eine Praxiseinrichtung sich zur Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen entschließt, bezieht sich eine der ersten Fragen auf das Finden geeigneter Ansprechpersonen. Hier kommt die Praxisanleiterin schnell ins Blickfeld, da sie die Einrichtung gut kennt und mit Anleitungsprozessen vertraut ist. Sie nimmt auf Grund ihrer Qualifikation eine wichtige Rolle ein. Dabei sollten allerdings folgende Punkte bedacht werden:

  • Die Rahmenbedingungen für den Einsatz sollten auf der Basis eines klar definierten Konzeptes in schriftlicher Form vorliegen. Ein solches Konzept ist von der Einrichtungsleitung und der verantwortlichen Person der Ehrenamtlichen in Kooperation zu erstellen, mit den Mitarbeiter(inne)n abzustimmen und zu verabschieden.
  • Der Einsatz der Ehrenamtlichen kann palliative Pflege hilfreich ergänzen, wenn die Helferinnen regelmäßige Begleitung in Form von Praxisgesprächen durch die Praxisanleiterin erfahren und die Gruppe der Ehrenamtlichen insgesamt koordiniert wird. Damit ist zum einen die Auswahl geeigneter Helferinnen für einzelne Patient(inn)en gemeint, aber auch generelle Vorabsprachen über Häufigkeit und Dauer der Besuche, Information an die Angehörigen sowie eine Entscheidung über die Summe der insgesamt tätigen Helferinnen in der Einrichtung.

Ehrenamtliche dürfen nicht zu einer „beliebig verfügbaren Einsatzreserve“ werden. Sie sind freiwillig tätig, leisten diese Arbeit in ihrer Freizeit und erhalten dafür keine Entlohnung. Die Zusammenarbeit kann dann besonders positive Elemente hervorbringen, wenn die Einrichtung das Engagement der Ehrenamtlichen in positiver Weise würdigt. Das kann z. B. durch Einladung der Ehrenamtlichen zu einer Dienstbesprechung mit ausdrücklicher Würdigung der geleisteten Arbeit und einem kleinen Präsent geschehen, durch Einladung zu Betriebsfeiern in der Weihnachtszeit, Betriebsausflug etc.

Ein wiederkehrendes Spannungsfeld in der Zusammenarbeit ist die Grenzziehung zwischen professioneller und ehrenamtlicher Arbeit. Hier gilt das Prinzip der ergänzenden Leistungen durch die Ehrenamtlichen. Sie dürfen keine Pflegearbeit übernehmen, diese jedoch in Form kleiner Hilfen (z. B. Getränke reichen) ergänzen. Die Grenzen sind oftmals nicht eindeutig klar zu ziehen und bedürfen bei sich andeutenden Spannungen einer frühzeitigen Klärung mit der Praxisanleiterin.

Wenn es gelingt, diese Aspekte in ein Gesamtkonzept zu integrieren, kann die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen ein Qualitätsindikator für Einrichtungen werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Im Mittelpunkt dieses Kapitels standen Einblicke in das Aufgabenfeld der Praxisanleitung in Palliative Care. Die Erwartungen an die Praxisanleitung sind hoch und sie befinden sich in einem kontinuierlichen Prozess der Entwicklung. Geschulte Praxisanleiterinnen bringen gute Voraussetzungen mit zur Ausgestaltung ihres professionellen Handlungsrahmens. Gleichwohl ist anzumerken, dass sie ungeachtet all ihrer Ausbildungs- und Anleitungsaufgaben bis heute noch keine spezielle „Anleitungszeit“ in ihrer Arbeitszeit haben. Sie haben die gleichen Aufgaben wie alle anderen examinierten Pflegekräfte, leisten also die Anleitungsaufgaben in einer integrativen Weise, eingebettet in die komplexen Aufgaben des Pflegealltags einer examinierten Pflegekraft. Das Spektrum von guter Pflegequalität auf der einen und berechtigter Kritik an Missständen auf der anderen Seite ist vor diesem Hintergrund besonders zu bedenken.

Literatur

Benner, Patricia (1994): Stufen zur Pflegekompetenz. From Novice to Expert. Huber Verlag, Bern, Göttingen, Toronto (engl. Original 1984).

Darmann-Finck, Ingrid (2006): „Und es wird immer so empfohlen“ – Bildungskonzepte und Pflegekompetenz. IN: Pflege, (19) S. 188-196.

Gnamm, Else; Denzel, Sieglinde (1997): Praxisanleitung – beim Lernen begleiten. Kohlhammer, Stuttgart.

Hildenbrand, Bruno (2005): Begleitung von Menschen in einer Sinnkrise – Erwartungen an ehrenamtliche Mitarbeiter im Hospizbereich. IN: Ewers, Michael; Schaeffer, Doris (Hg.): Am Ende des Lebens. Versorgung und Pflege von Menschen in der letzten Lebensphase. Huber Verlag, Bern, Göttingen, Toron-to, S. 139-154.

Lummer, Christian (2005): Praxisanleitung und Einarbeitung in der Altenpflege: Pflegequalität sichern, Berufszufriedenheit verstärken. 2. überarb. Aufl., Schlütersche, Hannover.

Otto-Schindler, Martina (1996): Berufliche und ehrenamtliche Hilfe: Perspektiven der Zusammenarbeit. Eine empirische Studie zu Bedingungen und Erfahrungen in der Sozialen Arbeit. Universitätsverlag Rasch, Osnabrück.

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Praxisanleitung im Bereich Palliative-Care

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