Einrichtungsspezifische Versorgung

Strategien der Mitarbeiterbindung und -gewinnung in der Pflege

Text: Cylia Messer, M.A. | Foto (Header): © Contrastwerkstatt, stock.adobe.com

Qualifiziertes Personal zu finden ist in der deutschen Pflegebranche längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Mit Vakanzen in 61 Prozent der Pflegeeinrichtungen und Schätzungen bezüglich einer Verschärfung der Situation, die darauf hindeuten, dass in den kommenden Jahren bis zu 200.000 Vollzeitstellen unbesetzt sein werden, wächst der Druck sowohl auf der Angebots- sowie auf der Nachfrageseite (Bertelsmann Stiftung 2015). Während es für Pflegebetriebe immer schwieriger wird, ausreichend Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, steigt gleichermaßen mit fortschreitender gesellschaftlicher Alterung der Bedarf an stationären und ambulanten Pflegedienstleistungen konsequent an.

Auszug aus:

Die Praxisanleitung
Ausgabe 04.2021
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Nach Prognose des Statistischen Bundesamts wird von einer Steigerung der Anzahl von Pflegebedürftigen von derzeit 2,5 auf 4,7 Millionen ausgegangen (Statistisches Bundesamt 2015). Für die Pflegewirtschaft resultieren aus dieser Situation sehr große Herausforderungen. Es gilt die Attraktivität des Berufsfeldes durch gute Arbeitsbedingungen und Bezahlungen sowie einer geringeren Arbeitsbelastung zu erhöhen. Nachhaltige Lösungen für ein zukunftsfähiges Personalmanagement werden gesucht, während die Fachkräfteengpässe in der Gesundheits‑, Alten- und Krankenpflege zunehmend greifbarer werden. Angesichts der demographischen Entwicklung mit geringerem Angebot an Fachkräften und einem gleichzeitig höheren Pflegebedarf wird auch internationales Recruiting von Pflegekräften zu einem Teil der Lösung; allerdings wählt nur ein Sechstel der Betriebe diesen Weg. Die Begründungen für diese geringe Quote liegen als Resultat einer Befragung von 600 Personalverantwortlichen in einem hohen Aufwand, gesteigerten Kosten sowie rechtlichen und sprachlichen Hürden (Bertelsmann Stiftung 2015). Vorhandenes Pflegepersonal sorgsamer einzusetzen und mehr Nachwuchs auszubilden entspricht bereits seit einiger Zeit den Bemühungen von Sozialpartnern, Verbänden, Arbeitgebern und der Politik. Während die Bedeutung der professionellen Pflege in Einrichtungen zunehmend wächst, werden jedoch weiterhin Pflege- und Betreuungsleistungen auch durch ehrenamtlich Tätige und Familienangehörige erbracht und/ oder Haushaltshilfen engagiert.

Wie kann dem bereits bestehenden Fachkräftemangel im Pflegesektor und den negativen Prognosen konstruktiv entgegengewirkt werden?
Die Erhöhung der eigenen Attraktivität als proaktiver Arbeitgeber und eine effiziente Mitarbeiterbindung als besonders relevante Strategie spielen hierbei eine große Rolle. Die Bedeutung des betrieblichen Gesundheitsmanagements, Mitarbeiterwertschätzung, mitarbeiterorientierte Dienstplangestaltungen und auch Weiterbildungsangebote, sowohl fachliche Weiterqualifikationen als auch Schulungen im Bereich sozialer Kompetenzen, können hierbei besondere Anreize für das Fachpersonal schaffen. Auch ist die Gewinnung und Bindung von Fachkräften durch die eigene Ausbildung eine zentrale Strategie in der Pflegebranche.

Recruiting

Recruiting als zentraler Prozess der Personalbeschaffung dient als Teil des Personalmanagements der Gewinnung von geeigneten Fachkräften auf vakante Stellen. Verschiedene Methoden des Recruitings dienen unter der Berücksichtigung von Qualität, Quantität, Raum und Zeit der Deckung des benötigten Personalbedarfes. Unterscheiden lässt sich zwischen der herkömmlichen Personalbeschaffungsmaßnahme des Recruiting und dem sogenannten E-Recruiting, einer Methode in elektronischer Form.

Internes Recruiting

Eine beliebte Möglichkeit, offene Stellen mit geeignetem Fachpersonal zu besetzen, ist die ‚nach innen gerichtete Suche‘. Dies bietet den Vorteil, auf vorhandenes Personal und deren bereits erprobte Qualifikationen zurückgreifen zu können und somit gleichermaßen langfristig Personal an die eigene Einrichtung zu binden. Eine frühe, gezielte Planung im Bereich der Organisationsentwicklung trägt dazu bei, Beschäftigte auf spätere Aufgaben vorzubereiten, deren fachliche Kompetenz mit Fort- und Weiterbildungen entsprechend zu stärken. Auch kann die Motivation der Mitarbeitenden durch diverse Anreize, wie etwa ein offener Umgang mit Informationen und die Verbindung von Führungskräften und Beschäftigten, aufrechterhalten und gefördert werden, was ebenso wie früh in Aussicht gestellte Aufstiegsmöglichkeiten zu einer von den Mitarbeitenden gewünschten Bindung an das eigene Unternehmen beiträgt.

Wird also eine interne Stellenausschreibung in Betracht gezogen, um eine interne Versetzung von geeignetem Personal unter Berücksichtigung der jeweiligen Qualifikationen zu erzielen, müssen einige wichtige Aspekte beachtet werden. Zum einen müssen die vertraglichen Rahmenbedingungen der neuen Stelle angepasst werden. Zum anderen besagt § 93 des Betriebsverfassungsgesetzes, dass bei der Besetzung einer neuen Stelle eine interne Stellenausschreibung durch den Betriebsrat verlangt werden kann. Somit bleibt im Vorfeld zu prüfen, inwiefern eine interne einer externen Ausschreibung vorzuziehen ist. Eine interne Stellenausschreibung unterscheidet sich nur insofern von einer externen, dass als Zielgruppe ausschließlich Personal, welches bereits in der Organisation integriert ist, angesprochen wird. Als Bestandteile der Ausschreibung werden unter anderen die zu besetzende Position, Arbeitsbedingungen, Aufgabenbereiche und geforderte Nachweise angeführt. Auf die Stelle bewerben können sich grundsätzlich alle Mitarbeitenden des eigenen Unternehmens, welche die an die Aufgabe gestellten Voraussetzungen erfüllen. Eine Unterstützung in Bezug auf die Personaleinführung sollte als erfolgreiche Integration in das neue kollegiale Umfeld bereits im Vorfeld abgeklärt und nach einer erfolgreichen internen Versetzung gewährleistet sein. Die interne Stellenausschreibung kann neben der externen geschaltet werden.

Vor- und Nachteile

Nicht zuletzt da ein akuter Mangel an Nachwuchspersonal im Bereich des Pflegesektors besteht, ist die Bindung von bereits vorhandenen Fachkräften an die eigene Einrichtung umso bedeutsamer und als klarer Vorteil des internen Recruiting zu sehen. Mitarbeitende zu fördern und durch frühzeitige Schulungen zielgerecht weiterzubilden trägt zu einer langfristigen, fachlichen Vorbereitung von bereits integrierten Personen auf zukünftig zu besetzende Stellen bei. Gleichzeitig erhöht die Aussicht auf Weiterbildung und Aufstieg im eigenen Unternehmen grundlegend die Motivation und das Engagement des eigenen Personals. Auch sind in der Regel kürzere Einarbeitungszeiten in der neuen Position notwendig, da die Mitarbeitenden bereits mit der Organisation vertraut sind, und gleichzeitig eine etwaige Kostenersparnis möglich.

Als Nachteil kann auf die Gefahr von festgefahrenen Verhaltensweisen und fehlenden, neuen Perspektiven ‚von außen‘ verwiesen werden. Deshalb sollten im Rahmen von internem Recruiting stets auch mögliche Optimierungsprozesse, neue Impulse und Ideen sowie Organisations‑, Arbeits- und Alltagsstrukturen im Auge behalten werden. Des Weiteren gilt es interne Machtkämpfe und ein daraus resultierendes negatives Arbeitsklima zu vermeiden. Hierzu kann meist eine offene und kooperative Kommunikation gegenüber allen Mitarbeitenden und Bewerbenden während des Ausschreibungs- und Versetzungsprozesses beitragen.

Externes Recruiting

Als weitere Option, dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken, kann auf externes Recruiting zurückgegriffen werden. Sind innerhalb des Unternehmens keine entsprechenden Optionen vorhanden oder ist das interne Recruiting fehlgeschlagen, wird der Blick, entweder aktiv oder passiv, auf den Arbeitsmarkt außerhalb der eigenen Organisation gerichtet.

Mit der passiven Form ist das Sichten bereits eingereichter, vorhandener Unterlagen gemeint, welche sich beispielsweise in Bewerberdatenbanken befinden oder bereits früher im Zuge einer anderen, externen Stellenausschreibung eingegangen sind. Bei der Schaffung dieser Bewerberdatenbanken sind die datenschutzrechtlichen Vorgaben der Art. 7 ff., 13. ff. der EU-Datenschutzverordnung zu beachten, die durch das Bundesdatenschutzgesetz ergänzt werden. In die längerfristige Speicherung von Bewerberdaten müssen die Bewerber einwilligen und haben einen Anspruch auf Berichtigung und Löschung. Vor dem Aufbau einer Bewerberdatenbank sollte zwingend der Datenschutzbeauftragte konsultiert werden.

Solchermaßen zulässigerweise archivierten Bewerbungsunterlagen werden ausgewertet und mit den Voraussetzungen an die neu zu besetzende Stelle abgeglichen. Geeignete Bewerber werden daraufhin kontaktiert. Bei dieser Methode wird nicht zuletzt auch auf externe Datenbanken zurückgegriffen, in welchen Arbeitssuchende ihre Profile und Dokumente hochladen und jedem online zugänglich machen. Hierbei handelt es sich um eine recht unkomplizierte und kostengünstige Methode des passiven, externen Recruitings.

Das aktive Recruiting wiederum beinhaltet das Einleiten eines Bewerbungsprozesses durch die Organisation selbst. Dies geschieht zumeist in Form einer externen Stellenausschreibung, welche regional oder überregional in Tageszeitungen, Fachzeitschriften oder auf der unternehmenseigenen Website veröffentlicht wird. Um Interessenten und potenziellen Bewerbern konkrete Einblicke in das Leitbild und die Ziele zu gewähren, sollten externe Ausschreibungen neben der bereits im Kontext der internen Stellenausschreibung genannten Bestandteile außerdem eine knappe Vorstellung der eigenen Organisation beinhalten. Eine informativ und ansprechend gestaltete Ausschreibung erhöht die Chance, die für die zu besetzende Stelle richtige Zielgruppe zu erreichen.

Hinweis: Gemäß §§ 1, 7 und 11 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sind Stellenausschreibungen geschlechtsneutral zu formulieren und dürfen keine Diskriminierungen aufgrund von Herkunft, Religion, Weltanschauung, Geschlecht, Alter u. ä. beinhalten.

Ebenfalls unter aktives Recruiting fällt das persönliche Anwerben beispielsweise durch regen Austausch auf Veranstaltungen und Messen, um diverse Kontakte zu pflegen und potenzielle Kandidaten kennen zu lernen. Hierfür sollten konkrete Karriere- und branchenspezifische Messen besucht werden. Kontaktfreudige und fachkundige Vertretende könnten hierbei die Einrichtung nach außen repräsentieren. Auch können die Mitarbeitenden einer Einrichtung selbst mit eingebunden werden, indem diese persönlich um die Verbreitung einer vakanten Stelle unter Freunden und Bekannten gebeten werden.

Vor- und Nachteile

Fachkräfte, welche als externe Bewerbung dem Unternehmen beitreten, bringen in der Regel neue Impulse und andere Blickwinkel in die alltägliche Arbeitsstruktur mit. Somit kann eine andere Bewertung der vorherrschenden Prozesse und Abläufe in die Organisation mit einfließen. Zudem gilt der Aufbau eines Netzwerks als wichtige Aufgabe eines Unternehmens und es kann nicht nur in einem Ausschreibungsprozess langfristig von gewonnenen Kontakten profitiert werden. Aktiv für die Einrichtung zu werben und dieses auf Veranstaltungen zu repräsentieren kann zudem zu einer Prestigesteigerung beitragen. Auch kann das Interesse von Praktikanten und Pflegeschülern geweckt und diese für die Berufsgruppe begeistert werden.

Ein Nachteil des aktiven Recruitings besteht in höheren Kosten und einer gewissen Zeitaufwendung. Auch können eingehende Absage den Prozess erschweren. Bereits in das Unternehmen integrierte Mitarbeitende könnten sich zudem übergangen fühlen und dies zu einer Verminderung von deren Motivation beitragen.

Praxistipp: E-Recruiting

Eine gute Stütze in Recruitingprozessen kann angesichts des digitalen Zeitalters die (zusätzliche) Wahl elektronischer Kanäle zur Verbreitung von Stellenausschreibungen, Repräsentieren der Einrichtung, Verwaltung des Personalbeschaffungsprozesses und zum aktiven Werben für die eigene Organisation sein. Eine Gewährleistung von Aktualität, eine höhere Reichweite, langfristige Kosten- und Zeitersparnis sowie leichter gestaltete Bewerbungsvorgänge können Vorteile des innovativen und zeitgemäßen E-Recruiting sein. Hierfür können unterschiedliche Ansätze gewählt werden:
– Social-Media-Kanäle und Karrierenetzwerke (z. B. Xing und LinkedIn)
– Online-Jobbörsen und -portale
– Verwaltung von Bewerberdaten in einem zentralen, digitalen Ablagesystem
– Online-Bewerbungen via E-Mail
– Karrierewebsites für Schüler, Auszubildende und Berufseinsteiger
– Mobile Recruiting über Applikationen
– …

Zu berücksichtigen gilt angesichts der vielfältigen und zahlreichen Möglichkeiten die für das Unternehmen geeignete(n) Plattform(en), Kanäle und/ oder Software auszuwählen und sich im Vorfeld intensiv mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen sowie Funktionen auseinanderzusetzen, um die Effektivität des E-Recruiting zu gewährleisten. Auch sollten entsprechende Schulungen für die Mitarbeitenden und etwaige Investitionen für die Anschaffung geeigneter Softwares und/oder technischer Geräte einkalkuliert werden.

Ausblick: Das Angebot von Praktika und die Gewinnung von Auszubildenden

Anknüpfend an das interne Recruiting ist eine weitere, zentrale Strategie der Personalbeschaffung das Ausschreiben und Anbieten geeigneter Praktikantenstellen. Interessierten wird somit ein konkreter Einblick in die Abläufe, Strukturen und Bedingungen des Pflegesektors und Raum zur Erprobung gewährt. Abgesehen davon, dass der Anreiz für eine Ausbildung zur Pflegefachkraft somit gefördert werden kann, können wiederum auch Anleitende von ihren Pflegeschülern im direkten Einsatz überzeugt werden. Diese weitere Möglichkeit, qualifiziertes künftiges Fachpersonal kennen zu lernen und für den Beruf zu begeistern, kann zudem anschließend in ein Ausbildungsverhältnis übergehen. Um Praktikanten, die durch ihre Leistung in der Praktikumszeit überzeugt haben, für eine Ausbildung zu gewinnen, können folgende Handlungsempfehlungen im Rahmen der Praktikantenzeit berücksichtigt werden:
– Eine sorgfältige Vorbereitung der Praktikantenzeit: Die Auswahl spannender Stationen und konkreter Ansprechpartner, die den Praktikanten während der gesamten Zeit zur Seite stehen
– Persönliche Bezüge zwischen den Praktikanten und den zu Pflegenden herstellen
– Eine offene und kontaktfreudige Atmosphäre im Team gegenüber den Praktikanten, in welches sie voll integriert werden sollten
– Aufmerksamkeit gegenüber den Lernenden, um unter anderem Unsicherheiten zu bemerken und darauf eingehen zu können
– Ein offenes, geduldiges Gehör für alle aufkommenden Fragen
– Eine genaue Erklärung der einzelnen Aufgaben im Pflegealltag und deren Bedeutung für die beteiligten Personen
– Das Aufzeigen positiver Bestandteile der Pflegetätigkeit und die Betonung des besonderen Stellenwertes des Berufes
– Bereits einen konkreten Überblick zu liefern über die Schwerpunkte einer späteren Ausbildung

Die Autorin

Cylia Messer, M.A.
ist als Stabsstelle E-Learning und Didaktik an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg beschäftigt und promoviert an der Goethe Universität Frankfurt über pädagogisch relevante Formen der Digitalisierung des Erziehungs- und Bildungswesen. Sie arbeitet seit Jahren im Bereich Medienpädagogik und E-Learning.

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